Risikomütter und ‚gute Mütter'. Mutterschaft als Gegenstand der Sozial- und Kulturwissenschaften.
Während sich die gesellschaftliche Beschäftigung mit dem Thema Mutterschaft (u.a. Boulevardblätter, Presse, Rundfunk, Fernsehen) vielfach auf bestimmte Mutterschaftstypen bezieht und versucht, Indizien für ‚gute‘ oder ‚schlechte‘ Mutterschaft‘ auszumachen, ist die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Thema noch eher neueren Datums. Daran anknüpfend beschäftigen sich in der gFFZ-Veranstaltungsreihe vier Wissenschaftlerinnen mit dem Thema Mutterschaft und legen qualitative Analysen aus vier verschiedenen Feldern vor (Flyer).
Weibliches Erleben, männlicher Blick. Kulturanthropologische Perspektiven auf das Gebären
03.11.2016
Frankfurt University of Applied Sciences
Vortrag von Cecilia Colloseus
Vor rund vierzig Jahren erhielten die ersten Männer die Möglichkeit, bei der Geburt ihrer Kinder im Krankenhaus dabei zu sein. Was damals als revolutionär galt, ist heute eine Selbstverständlichkeit, oder vielmehr eine stille Verpflichtung. Der Kindsvater im Kreißsaal gehört heute fest zur populären Vorstellung einer idealen Geburt.
Für die Anthropologie und andere Kultur- und Sozialwissenschaften ergeben sich aus dieser sozialen Praxis immer wieder neue Fragestellungen. Einige davon werden im geplanten Beitrag vorgestellt. Im Zentrum steht dabei die Frage, welche Rolle die männliche Perspektive beim Sichtbarmachen von Mutterschaft, speziell von Geburt, spielt. Der männliche Blick, ein Begriff aus der feministischen Filmtheorie, wird zu diesem Zweck auf das männliche Betrachten der Geburt angewendet und mit Foucaults Ansatz des ärztlichen Blicks abgeglichen. Vor diesem Hintergrund wird die These diskutiert, dass die öffentliche Wahrnehmung von Geburt maßgeblich dadurch bestimmt wird, wie Männer sie sehen (und beschreiben), und nicht dadurch, wie Frauen sie erleben.
Moderation: Prof. Dr. Lotte Rose / Dr. Rhea Seehaus
Cecilia Colloseus studierte in Mainz Kulturanthropologie, Theologie und Musikwissenschaft und ist seit 2014 Doktorandin am Graduiertenkolleg „Life Sciences, Life Writing“ an der Universität/Universitätsmedizin Mainz und forscht dort zur kulturellen Praxis des Erzählens über das Gebären.
(M)others – Die mediale Verhandlung von Müttern in der Sexarbeit
13.12.2016
Frankfurt University of Applied Sciences
Vortrag von Dr. Carolin Küppers
Mutterschaft und Sexarbeit scheinen sich aufgrund der konträren gesellschaftlichen Zuschreibungen wechselseitig auszuschließen. Der ‚guten Mutter’ wird uneingeschränkte Fürsorge für ihr(e) Kind(er) und Selbstlosigkeit zugeschrieben, die ‚Hure’ steht im gesellschaftlichen Bewusstsein oft symbolisch für ein ‚soziales Problem'. Diese stereotypen Vorstellungen sind jeweils in gesellschaftliche Geschlechterverhältnisse eingelassen und an sozial konstruierte, heteronormative Geschlechtervorstellungen geknüpft. Die Bilder, die über Sexarbeit und Mutterschaft existieren, sind geprägt durch historisch gewachsene (Geschlechter-)Diskurse, die auch in aktuellen Diskursen um Sexarbeit sichtbar werden. Der Vortrag befasst sich mit den verschiedenen Subjektpositionen, die Sexarbeiter*innen im medialen Diskurs zugewiesen werden. Als empirisches Material dienen südafrikanische Zeitungsartikel, die im Vorfeld und während der WM 2010 in Südafrika erschienen sind. Viele Zuschreibungen sind durchaus anschlussfähig an westliche Diskurse. Die Anrufung als Mutter dient in diesen medialen Diskursen über Sexarbeit dazu, Sexarbeiter*innen als Teil der Gesellschaft und damit als ‚Eigene’ darzustellen. Daraus lassen sich jedoch auch normativen Zuschreibung ablesen anhand welcher ‚gute’ Mutterschaft konstruiert wird.
Moderation: Prof. Dr. Lotte Rose / Dr. Rhea Seehaus
Dr. Carolin Küppers ist wissenschaftliche Referentin bei der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld in Berlin. Sie promovierte zu Sexarbeitsdiskursen in Südafrika an der LMU München.
Mütter im (Straf-)Recht?! Eine geschlechterreflektierende Betrachtung
11.01.2017
Evangelische Hochschule Darmstadt
Vortrag von Dr. Eva Tolasch
Eva Tolasch zeigt in ihrem Vortrag auf, dass das normative Maß an dem sich ‚gute Mütter‘ messen und messen lassen aus einem sehr traditionellen Stoff gewebt ist, wenn es rechtlich darauf ankommt: Fürsorgearbeit ist in den untersuchten Strafakten stark feminisiert, wobei sich die Anforderungen an die Frauen als Mütter diversifiziert haben. Damit steht das strafrechtliche Mutterschaftswissen im starken Kontrast zu dem durchaus vorhandenen pluralisierten Mutterschaftswissen in der Öffentlichkeit. Im öffentlichen Mutterschaftswissen wird das alltägliche Mutter-Sein nicht selten als individuelles und frei wählbares Biografieprojekt verhandelt. Zu diskutieren ist, inwiefern die Beurteilungskriterien von angemessener Mutterschaft, die Folgen für die Bewertung der Tat bzw. des Strafmaßes haben, im Strafrecht veraltet sind.
Zu diesem Ergebnis der feldabhängigen (Un )Gleichzeitigkeiten im Mutterschaftswissen kommt Eva Tolasch bei der Analyse der normativen Verhandlung von Mutterschaft, basierend auf Akten, in den Eltern wegen versuchter/tatsächlicher Tötung ihres Kindes beschuldigt sind.
Moderation: Prof. Dr. Elke Schimpf / Prof. Dr. Rzepka
Dr. Eva Tolasch ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Institutsgleichstellungsbeauftragte am Institut für Diversitätsforschung der Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen. Sie promovierte mit einer diskursanalytischen Untersuchung zu Mutterschaft im Strafrecht.
"Erst das Kind, dann die Droge" – Deutungen der Adressierung als drogenabhängige Mutter
26.01.2017
Evangelische Hochschule Darmstadt
Vortrag von Sabine Härtl
Drogenabhängigkeit und Mutterschaft – wie geht das zusammen? Das zunächst widersprüchliche Verhältnis zwischen gesellschaftlich abgewerteter Drogenabhängigkeit und idealisierter Mutterschaft bildet den Dreh- und Angelpunkt des Vortrags: Wie thematisieren drogenabhängige Mütter ihre Adressierung als ebendiese? Wie erzählen sie ihre Biographie? Welche Deutungen werden dabei sichtbar? Diesen Fragen wird auf der Basis der bisherigen Forschung nachgegangen, die zum einen von der Hoffnung drogenabhängiger Frauen auf ein ‚normales‘, anerkennenswertes Leben durch die Mutterschaft ausgeht. Zum anderen unterliegen Familien, in denen ein Suchthintergrund besteht, vielfältigen Belastungen, wie beispielsweise psychischen Problemen oder Verschuldung. Vor dieser Hintergrundfolie werden die empirischen Ergebnisse diskutiert, die zeigen, welche Strategien angewandt werden, um sich im komplexen Spannungsfeld aus Mutterschaft und Drogenabhängigkeit zu positionieren und beides in eine stimmige Erzählung von sich selbst zu integrieren.
Moderation: Prof. Dr. Elke Schimpf / Prof. Dr. Marga Günther
Sabine Härtl ist Soziologin (M.A.) und Sozialpädagogin (B.A.). Sie arbeitet derzeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin bei enable, Kompetenzcluster der Ernährungsforschung an der TU München und als Suchtberaterin bei extra e.V., Suchthilfe für Frauen und Angehörige, München.